Wer hätte nicht jene Lustschauer empfunden, die einem über den Rücken laufen, nachdem eine große Tat vollbracht wurde? Wer verspürte nicht vielfach jene in der Leistengegend durch Zurücklehnen vom Schreibtisch entstehenden Merkwürdigkeiten, nachdem soeben eine erfolgreiche Lösung schwerer Probleme gelungen ist? Wer hätte nie die Wonnen eines ausgeführten Planes genossen? Wer hätte nicht äußerste physische Anstrengung lustvoll genossen beim Sport, langen Märschen oder in stechender Sonnenhitze? Wer kennt nicht die Lust, einen hoch sich auftürmenden Berg von Arbeiten (einen wahren Augiasstall) zügig, konzentriert und in einer sich ständig steigernden Kraftanstrengung wegzuarbeiten? Solche Lust ist augiastisch. Wer diese „Wonnen, Schauer, Genüsse“ (Zitat der kollektiven Vernunft augiastischer Zeitalter), wer den Augiasmus nicht kennt, dürfte sich schwertun mit dem Sinn seiner Arbeit und Tätigkeit; der dürfte es schwerhaben, sein Handeln als gesellschaftlich wert- und sinnvoll zu verstehen. Ein solcher Mensch ist aktionsfrigid.
Quelle
Orgasmus und Augiasmus – Pflicht zur Lust und Lust zur Pflicht – Abschnitt in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zeitung · Erschienen: 12.01.1971
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Martin Kohlhaas
09.11.2011
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