Buch Kunst in Frankfurt

1945 bis heute

Kunst in Frankfurt 1945 bis heute, Bild: Hrsg. von Rolf Lauter. Frankfurt/M.: Societäts-Verl., 1995..
Kunst in Frankfurt 1945 bis heute, Bild: Hrsg. von Rolf Lauter. Frankfurt/M.: Societäts-Verl., 1995..

Erschienen
1994

Herausgeber
Lauter, Rolf

Verlag
Societäts-Verlag

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
3797305818

Umfang
526 Seiten

Seite 43 im Original

»Kultur zum Nulltarif ist kontraproduktiv«

Warum der Eintritt ins Museum etwas kosten muß (1)

Umsonst ist der Tod, meinten bis vor kurzem realistisch gesinnte Zeitgenossen, bei denen man artig und schmeichelnd versuchte, eine Dienstleistung oder eine ihrer Waren abzustauben. Inzwischen aber gilt nicht einmal mehr diese Feststellung. Für Beerdigungen sind selbst ohne Sonderwünsche 10 000 Mark zu zahlen, von den Kosten des Sterbens ganz zu schweigen.

Hartnäckig versuchte man es immer wieder mit der Behauptung: ,,Umsonst sind die Kunst und die Kultur«; sollten sie es sein? Wir zahlen kein Schulgeld in unserem Land und studieren an allen Hochschulen, ohne dafür entsprechende Gebühren auf den Tisch legen zu müssen. Warum sollten nicht auch Museen kostenlosen Zugang gewähren – einige, so in Frankfurt, tun das ja auch.

Das hört sich doch gut an, nicht wahr? Aber wie stets ist nicht alles Gold, was glänzt, und Kultur nicht das, was kostenlos ist; wie zum Beispiel die Werbung, die uns kostenlos ins Haus geschickt wird, darunter formidable Zeitschriften wie »Das Erste«, die Kulturzeitschrift der ARD. »Bitte keine Werbung« (also bitte nichts kostenlos), heißt es an jedem zweiten Briefkasten, und wenn sie dennoch durch die Schlitze rutscht, hat die Müllabfuhr die Arbeit.

Zwei Argumente sprechen gegen die kostenlose Verfügung über irgend etwas: Menschen gehen nun einmal sorglos mit Dingen und Gelegenheiten um, die ihnen vermeintlich unbeschränkt – weil kostenlos – zur Verfügung stehen.

Man studiert leicht mal eben 16 Semester, wo es acht bis zehn auch täten. Man konsumiert bedenkenlos Wasser, Luft und Landschaft, wenn man sich dem irrigen Eindruck hingibt, davon gäbe es ja für jedermann zu jeder Zeit jede Menge. Es mag ja im einzelnen falsch sein, daß nichts wert ist, was nichts kostet, aber unsere Aufmerksamkeit und die Bewußtheit unserer Entscheidungen erhöhen sich doch erheblich, wenn vor dem Zugang zu Ereignissen und vor dem Zugriff auf Dinge Schranken gesetzt sind, die man mit einiger Anstrengung zu überwinden hat. Ja, je höher die Schranken. desto gewichtiger wird einem das, was man hinter ihnen vermutet.

Zum anderen ist die Forderung nach Kultur zum Nulltarif eine Milchmädchenrechnung. Auch wenn Museen keine Eintrittsgelder verlangen, ist der Zugang zu ihren Beständen ja nicht kostenlos; die Kosten werden von den Steuerzahlern getragen. Also geht es eigentlich um die Frage, ob die Allgemeinheit die Kosten zu tragen hat oder ob die Nutzer der Einrichtungen wenigstens einen Anteil übernehmen sollten; denn nicht alle nutzen gleichermaßen und in gleichem Umfang die allgemeinen Einrichtungen. Warum sollten sie dann dafür in vollem Umfang zahlen? Nicht alle Leute fahren Auto. Deswegen sollten sie auch nicht für den Unterhalt der Verkehrswege in der Höhe zur Kasse gebeten werden wie die Vielfahrer.

Es geht nicht um entweder oder, zahlen oder nicht zahlen, Nulltarif oder Totaltarif. Auch wer kein Privatauto benutzt, nimmt die Leistung von Versorgungsfahrzeugen, öffentlichen Verkehrsmitteln in Anspruch. Wen Kunstmuseen nicht interessieren, verbringt gern mal einen Tag im Freilichtmuseum oder im Technikmuseum und umgekehrt. Man bietet sich mit den Steuergroschen wechselseitig dazu die prinzipielle Gelegenheit. Wer sie im einzelnen ergreift, zahlt für den Nutzen, den er davon hat.

Wenn dieser Nutzen doch so groß ist, wie das alle zum Beispiel von Kunstwerken behaupten, werden wir uns auch dafür entscheiden, auf eine Bockwurst mit Pommes oder ein modisches Sweatshirt zu verzichten. Muß sich denn überhaupt jemand den Zugang zu Ausstellungen verkneifen, weil er den Eintritt nicht zahlen kann'? Wohl kaum. Warum dann also die Forderung nach dem Nulltarif? Offensichtlich findet man keine andere Erklärung für das (allerdings nur relativ) geringe Interesse der Gesamtbevölkerung an der Arbeit von Kulturinstitutionen wie den Museen als die, daß die Eintrittspreise die armen Menschen abschreckten: eine haltlose Behauptung!

Wer klagt eigentlich über mangelnden Besuch von Museen und Ausstellungen, von Schauspielhäusern und Opern, von Volkshochschulkursen? Etwa dieselben Leute, die vor lauter Publikumsinteresse nur noch in Überstunden zu ihrer eigentlichen Arbeit kommen? Wer in solchen Institutionen arbeitet, weiß, wie das geht: Man versucht – auch durch kostenlosen Eintritt – den Zulauf so zu erhöhen, daß man dann neue Stellen und Etats einfordern kann. Aber auf längere Sicht wird kostenloser Eintritt die Besucherzahlen nicht erhöhen, sondern absenken.

Deswegen haben nicht nur clevere Werbeprofis, sondern auch seriöse Kulturdirektoren längst den umgekehrten Weg gewählt: Sie erhöhen die Eintrittspreise, und zwar drastisch. Bei attraktivem Angebot ist demnächst mit Eintrittspreisen von 30 bis 50 Mark zu rechnen, also etwa mit dem Äquivalent für eine Handwerkerstunde. In Japan soll es Studien geben, die Eintrittspreise von 100 Mark für Ausstellungen von Werken Michelangelos oder des Goldes der Inkas als realistisch ausweisen, vorausgesetzt, man macht den Besuchern klar, daß dieses Geld nicht von Kustoden oder Künstlern verpraßt wird, sondern für Transport und Versicherung, für Ausstellungsarchitektur und Konservierung, für Bewachung und Belehrung auszugeben ist.

Die Kulturetats der öffentlichen Hände platzen aus allen Nähten und sind dennoch viel zu klein. Kultur zum Nulltarif wäre da nicht nur kontraproduktiv. Bildung und Ausbildung sind angeblich doch der höchste Besitz, mit dem die Zeitgenossen beruflich wuchern und privat glänzen können. Sie zu erwerben ist Arbeit und eben nicht unterhaltsames Vergnügen. Jedermann sollte Gelegenheit zu dieser Arbeit erhalten, klar. Aber Umfang und Intensität, in der man sich ihr widmet, sollte man selbst bestimmen können und müssen. Das verlangt nicht nur Mühen, sondern hat auch seinen Preis. Dafür, daß es sich für uns lohnt, müssen wir selber sorgen.

(1) Aus: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20.10.1991.