Buch Musealisierung als Zivilisationsstrategie

Arbeitsheft zum Symposium „Musealisierung als Zivilisationsstrategie“, das am 24. November 2009 stattfand.

Musealisierung als Zivilisationsstrategie, Bild: Titelseite. Gestaltung: Gertrud Nolte. + 6 Bilder
Musealisierung als Zivilisationsstrategie, Bild: Titelseite. Gestaltung: Gertrud Nolte.

Was ist ein Produzent ohne den urteilsfähigen Konsumenten, was vermag der Arzt ohne einen therapietreuen Patienten, was der Künstlerohne einen verständnisfähigen Betracter und Zuhörer, was richtet der Politiker aus ohne einen kritikfähigen Wähler, was nutzt die Predigt, wenn sie nur auf tumbe-taube Ohren stößt?

Durch Wissen klagend - 

durch Klagen leidend - 

durch Leiden wissend

Agnosce, dole, emenda

Erschienen
2008

Herausgeber
Brock, Bazon | Bauer, Christian

Verlag
Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften (VDG)

Erscheinungsort
Weimar, Deutschland

ISBN
9783897396746

Umfang
1. Aufl. 2009, 120 Seiten, 3 Abb. s/w

Einband
Broschur

Seite 55 im Original

Harald Falckenberg: Art Unlimited

Früher hieß es, die Art Basel sei ein Museum auf Zeit. Bezogen auf die hohe Qualität der dort gezeigten Kunstwerke trifft dies sicherlich zu. Es ist aber nur die halbe Wahrheit. Wie kein anderes Forum bietet die Art Basel einen umfassenden Überblick über die aktuellen Entwicklungen des Kunstbetriebs, der über die klassische Präsentation auf Messeständen weit hinausreicht. Im Bereich „Art Statements“ werden Einzelausstellungen von Künstlern gezeigt. Die Segmente „Artists’ Books“ und „Art Film“ befassen sich mit Spezialgebieten künstlerischer Arbeit.

Die zweifellos wichtigste Erweiterung ist aber die „Art Unlimited“, die – von Beginn an unter der Leitung des Genfer Kurators Simon Lammière – in diesem Jahr zum zehnten Mal gezeigt wird. Sie bietet den Platz für raumgreifende Installationen und Skulpturen, großformatige Malerei- und Fotoarbeiten, komplexe Film- und Videoprojekte und live performances. Der Fokus der „Art Unlimited“ ist die multimedial orientierte Ausstellungskunst, eine Kunst, die spektakulär ist und dem Neuen Bahn bricht. Ihre maßgeblichen Ansprechpartner sind die Kuratoren und Direktoren von Ausstellungshäusern, Biennalen und Triennalen, aber auch von Museen, die heute mehr dann je mit Wechselausstellungen und nicht mehr mit der Sammlung die erforderlichen Besucherquoten erreichen. Die Kunsthalle Hamburg zum Beispiel veranstaltete 2008 mehr als 30 größere und kleinere Ausstellungen, die 90 % der Besucher angezogen haben; für die Sammlung mit deutscher Romantik als Schwerpunkt blieb nur der Rest. Auch private Sammler können sich dem Trend, daß Künstler zunehmend an ihrer Ausstellungskunst gemessen werden, nicht entziehen. Nicht zuletzt deshalb haben sie eigene Ausstellungsräume eingerichtet und sind Kooperationen mit Museen und anderen Institutionen eingegangen. Für diejenigen, die im traditionellen Sinne fernab jeder Öffentlichkeit privat sammeln, liefert die „Art Unlimited“ interessante Aufschlüsse darüber, in welche Richtung sich die Kunst entwickelt und wie sich die Künstler in ihrer Sammlung im internationalen Ausstellungsbetrieb behaupten.

Man mag dieser Entwicklung kritisch gegenüberstehen, aber sie scheint unumkehrbar. Vor nicht allzu langer Zeit wurde Kunst noch in elitären Zirkeln verhandelt. Die Künstler arbeiteten sich an ihrem Œuvre ab und leisteten – oft als Bohemiens ohne jeden wirtschaftlichen Erfolg – Überzeugungsarbeit. Einer der großen Künstler des 20. Jahrhunderts, Marcel Duchamp, hatte fünf Jahre vor seinem Tod 1963 die erste große Einzelausstellung in Pasadena. Museen zögerten Jahre, ja Jahrzehnte, bevor sie Werke eines Künstlers in die Sammlung aufnahmen. So entstand der Begriff der „Museumsarbeit“ als Ausdruck besonderer Wertschätzung. Heute ist die Kunst demokratisiert und längst fester Bestandteil der Alltagskultur geworden. Die Politiker sind stolz, daß Museen und Aus- stellungshäuser mehr Besucher aufweisen als Sportveranstaltungen. Zunehmend gerät Kunst zum Event mit Kunstmagazinen, Unternehmen und Celebrities als Trendsetter. Pop Art und Bad Art haben die Koordinaten von high auf low gestellt. Auch die Wissenschaft hat nachgezogen. Die traditionell am Kunstwerk und an Stilrichtungen orientierte Kunstgeschichte hat sich zur Bild- und Kulturwissenschaft entwickelt. Von Entgrenzung, der Überschreitung von Disziplinschranken und der Kunst als offenem System sozialer Praktiken ist die Rede.

Die Breitenwirkung der Kunst als kulturelle Veranstaltung ist ohne junge Gegenwartskunst nicht denkbar. Die langen Wege bis zur Anerkennung als Museumsarbeit gehören der Vergangenheit an. Die schnelle Evaluierung der Kunst kennzeichnet den heutigen Kunstbetrieb. Die Museen und die Hohepriester der Kritik und Wissenschaft haben die Deutungshoheit und das Diskursmonopol verloren. Sie sind eingebunden in ein Netzwerk, das zunehmend vom Kunstmarkt bestimmt wird. Im Zentrum der Bemühungen, Kunst zu positionieren und aufzuwerten, stehen die Galeristen. Sie müssen Kuratoren, Museumsdirektoren und Kritiker davon überzeugen, die Werke ihrer Künstler in internationalen Ausstellungen und Museen zu zeigen und zu besprechen. Ohne Werbung in den Kunstmagazinen werden dort kaum einschlägige Beiträge erscheinen. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben die öffentlichen Auftritte der Künstler, oft Selbstinszenierungen mit hohem Wiedererkennungswert. Durch die geschickte, für alle Seiten vorteilhafte Ausnutzung dieses Beziehungsgeflechts ist es möglich, Künstler ins Gespräch zu bringen und ihre Arbeiten erfolgreich zu vermarkten. Galeristen können die verschiedensten Positionen von subtil-kritisch bis hin zu hard selling einnehmen: Um das Netzwerk kommen sie nicht herum.
Die Führung der Art Basel hat frühzeitig die Komplexität des heutigen Kunstsystems erfaßt und ihr Rechnung getragen. Die „Art Unlimited“ hat sich dabei als eine der intelligentesten und wirksamsten Ergänzungen des traditionellen Messebetriebes erwiesen. Chapeau!