Ausstellungskatalog Design ist unsichtbar

Design ist unsichtbar, Bild: Hrsg. von Helmuth Gsöllpointner. Wien: Löcker, 1981.
Design ist unsichtbar, Bild: Hrsg. von Helmuth Gsöllpointner. Wien: Löcker, 1981.

Erschienen
1980

Herausgeber
Gsöllpointner, Helmuth | Hareiter, Angela | Ortner, Laurids | Österreichisches Institut für visuelle Gestaltung

Verlag
Löcker

Erscheinungsort
Wien, Österreich

ISBN
978-3-85409-020-5 (kart.) oder 978-3-85409-012-0 (

Umfang
639 S. zahlr. Ill., graph. Darst. ; 28 cm

Einband
kart. oder Gewebe

Seite S. 53-67 im Original

I. Fotofutter, ein Bilderessay anhand einiger meiner bisherigen Versuche, die obige Frage zu stellen

[Abb. 1: Auge]

Die Seele als Gestalter

II. Heiliger Zorn → gerechter Zorn
I. Säkularisierung eines Affekts
0. Blick aus der Zukunft, von einer allgemeinen Frage betroffen.

Aller Stein ist Fleisch

[Abb. 2: Paar mit überkreuzten Armen]

Vergib mir, wenn ich darauf bestehe, daß wir schon Gewesene sind.

[S. 54]

Aufklärung über Aufklärung

Einen Sachverhalt analytisch zu enthüllen heißt immer auch, einen anderen mit dem Abgeräumten zuzudecken.
(Action-teaching Brock/Studenten, Hamburg 1967)
Ein Problem zu lösen ist nur möglich, indem man neue Probleme schafft.

[Abb. 3: Action-teaching A-Männer, B-Männer, HBK Hamburg, 1967, Foto: A. Grundmann]

Auf dem Wege zu einer Mülltheorie der Gestaltung

[Abb. 4: Vortrag in der Gesamthochschule Kassel 1980]

Behälterwissenschaftler als Direktor ohne Dinge. Mülltheorie als Zusammenhang der Dinge ohne Direktor. Kassel, Gesamthochschule, Jan. 1980.

Noch eine Zigarette in der Schachtel und gerade noch ein Streichholz, obwohl es vor Stunden noch unübersehbar viele waren.

[Abb. 5: Zigarettenschachtel u. Streichholzschachtel auf Zeitung]

[S. 55]

Erfolgskontrolle

Wenn ein Kalkül, das man unter Mühen erstellte, aufgeht, setzen die kleinen Glücksschauer den Nacken in Vibrationen.
Wenn sich ein zufälliges oder beiläufiges Tun am Ende wie ein Kalkül, das aufgeht, darstellt oder erfahren läßt, glaubt man, in gewissen unbekannten Zusammenhängen zu stehen. Das Schicksal enthüllt den planvollen Gang aller Dinge, den man schon zu leugnen bereit war. Dann schüttelt Ergriffenheit den haltlosen Zweibeiner und er findet den Mut, auch das Zusammentreffen eines Regenschirms und eines Bügeleisens auf einem Operationstisch als wohlbegründbar anzusehen.

Lebensformen

[Abb. 6:] eine Frage, ob und wie man zum Frühstück Zeitung liest?

[Abb. 7: Straßenschild „Paarweise abbiegen“] ... oder ob man sinnvolle Kommandos gibt?

[Abb. 8: Kleine Schere u. größere wellenförmige Schere] Vielleicht eine besondere Begabung, sich aus den Dingen etwas zu machen?

[Abb. 9: 4 Straßenschilder übereinander] oder etwa eine Frage der richtigen Technik?


Ich klatschte in die Hände. Der Dohlenschwarm strich ab. Das waren meine Konstellationen des Vogelflugs.

Gesucht wird ein Kundiger, der mir daraus die Zukunft liest. Paestum 1972

... oder eine Frage, das Geheimnis zu hüten?

[Abb. 10-13: Vogelflug, Paestum 1972]

[S. 56]

Anstelle des gestalteten Schicksals lieber einen Schlafwagenregisseur – der ist billiger, schneller und hinreichend eitel, um sich gehörig anzustrengen.

[Abb. 14: „ICH INSZENIERE IHR LEBEN“, Ausstellung und Action Teaching im Kölnischen Kunstverein, 1970.
1. Spalte:
DAS THEATER WIRD WIRKLICH. WAS SIE IMMER NUR IM THEATER ALS DIE ERFAHRUNGEN ANDERER FIKTIVER PERSONEN VORGESETZT BEKAMEN, SOLL JETZT IHRE ERFAHRUNG WERDEN UND SIE SIND DOCH EINE WIRKLICHE PERSON.
ICH KOMME IN IHRE HÄUSER ODER HÜTTEN, ERARBEITE IN ETWA VIER BIS SECHS WOCHEN EINEN ASPEKT AUF IHR LEBEN. SCHLAGE IHNEN DANN MEHRERE MÖGLICHKEITEN VOR, DIESES IHR LEBEN SO ZU ÄNDERN UND ZWAR REAL, DASS SIE FÜR EINIGE ZEIT WIRKLICHE ERFAHRUNGEN MACHEN KÖNNEN, WAS ANDERS SEIN KÖNNTE ODER MÜSSTE FÜR SIE. ICH ERRECHNE FÜR SIE DIE KOSTEN DIESER VERÄNDERUNG, BESORGE IHNEN VOM ZUGANSCHLUSS BIS ZUM RECHTSANWALT ALLE NOTWENDIGEN VORBEREITUNGEN ZUR NEUEN INSZENIERUNG IHRES LEBENS. ICH BEGRÜNDE AUCH GEGENÜBER ARBEITGEBERN ODER FAMILIEHANGEHÖRIGEN UNSER GEMEINSAMES PROJEKT, DAMIT MAN VERSTEHT, WAS SIE ZU TUN BEABSICHTIGEN.

THEATERINSZENIERUNG – LEBENSINZENIERUNG

EREIGNIS: THEATERSTÜCK TEILNAHME AN DEN TATEN ANDERER | LEBENSENTWURF (IHR TUN)

ORT DES EREIGNISSES: BÜHNE | IHRE WOHNUNG, IHR ARBEITSPLATZ, DIE WELT

BETEILIGUNG: SCHAUSPIELER | SIE SELBST, IHRE FAMILIE, FREUNDE

VERANTWORTL. LEITUNG: REGISSEUR UND AUTOR | SOZIALPSYCHOLOGEN, JURISTEN, ÄRZTE, PSYCHOTECHNIKER

ZEITDAUER: Ca. 2 Stunden | ca. 5 MONATE ODER LÄNGER

KOSTEN: 20-80000 DM | 20-80000 DM und mehr

ANGEWANDTE TECHNIKEN: KONDITIONIERUNG, OBJEKTIVATION, THEATRALISCHE ROLLEN SPIELEN | KONDITIONIERUNG, OBJEKTIVATION, SOZIALE ROLLEN SPIELEN

FOLGEERSCHEINUNGEN ODER KONSEQUENZEN: bestenfalls: mehr verstehen | bestenfalls: mehr leben, Glück, Freiheit Frieden]

Entwurf alternativer Lebensformen
durch Königinnen

Weit hinten links im Park von Versailles richtete sich Madame ihren Hühnerhof ein: Gewimmel zu ihren Füßen, Schäferhündchen auf güldenem Stroh und Arkadien jeden Nachmittag. Die Alternativen bleiben äußerlich, dekoratives Modell; als schließlich Marie Antoinette die Nachricht überbracht wurde, das Volk sei aufsässig, weil es kein Brot zu essen habe, rief sie erstaunt: Ja, um Himmels willen, warum essen denn die Leute keinen Kuchen? Das entsprach wieder Monsieurs Blicken aus dem Fenster auf den Park.
[Abb. 15: Das Versailles der Könige! [Schlossgarten]; Abb. 16: Das Versailles der Königinnen [Hausansicht hinter Gartenzaun]

[S. 57]

Totaldesign: alle Menschen sind Brüder

Der liebe Gott in seiner Lieblingsrolle als Journalist der Bildzeitung. (Action-teaching zum Bloomsday, Frankfurt, Galerie Loehr, 1963 von Brock, Grafik Jaeger/Bayerle).

[Abb. 17: „Bloomzeitung“ auf Basis der reproduzierten BILD-Ausgabe vom 08.04.1963]

Das erfolgreichste Gestaltungsprogramm aller Zeiten:

[Abb. 18: Donnerstagsmanifest/Plakat „Krieg den Hütten – Friede den Palästen. Bitte um glückliche Bomben auf die deutsche Pissoirlandschaft“, 1963]

Mit der Lupe zu lesen!

[S. 58]

[Abb. 19:] Denkmal nach – Denkmal, Kassel 1975

[Abb. 20:] Fatale Einsicht: Ohne Lehrlinge gibt es keine Meister.

[Abb. 21-22:] Aufruf Zeig Dein liebstes Gut an die Berliner, Aktion im Rahmen des IDZ-Symposiums Lebensform der 20er Jahre, 1977

Unsichtbare Prozesse im Lebensdesign:

Eine Taube schiß ihm auf den Kopf. Er fürchtete für seinen Habit, anstatt sich über das angezeigte Glück zu freuen. Gerade Dreck, das häufigste Ausgangsmaterial für gestalterisches Tun, verführt dazu, die notwendige Ambivalenz der Zeichenwertigkeit aufzugeben.

[Abb. 23: Bazon Brock und unbekannte Frau; Foto: I. Ohlbaum]

[S. 59]

Erfolgloses gestalterisches Bemühen

[Abb. 24:] Hinsetzen, nicht hinsehen

Gestaltungsprinzipien:
[Abb. 25:] I. Analogiebildung
[Abb. 26:] II. Unterst zu oberst
[Abb. 27:] III. Dekontextuierung
[Abb. 28:] IV. Nichtidentische Übertragung
[Abb. 29:] V. Das Flüchtige auf Dauer stellen
               Er quält sich, das ist ja nicht zum Aushalten
[Abb. 30:] VI. Metaphorisierung
                Sich küssende Paare als Haltegriffe auf einem Kanonenrohr, denn Liebe ist stärker als der Tod

[S. 60]

Äußerst stimulierende Zeichengebung im architektonischen Gefüge: drehen Sie die Bildvorlage nach allen Seiten, es wird Ihnen nicht gelingen, die Figuration als Plafond zu identifizieren, noch als Fensterwand oder als Fußboden. Optische Polyvalenz zu erzielen ist wesentlich schwerer, als die historische Mehrwertigkeit eines Bauelements verfügbar zu machen. (Modell Privathaus Bazon Brock, Raum des Todesgedankens)

[Abb. 31]

Ein Haufen von Nichts

und dreimal etwas ganz Bestimmtes. Das sind zwei Paar Schuhe.

[Abb. 32-35]

Attitüdenpassepartouts – Woher habe ich, was ich da tue?

Trainierende paßt sich in Bildvorgaben der Diaprojektionen ein (Frauendarstellungen in der europäischen Malerei vom Mittelalter bis zur Gegenwart); sie verbindet jedoch die Abfolgen der projizierten Haltungen so zu einen Bewegungsablauf, als gehörten die unterschiedlichen, historischen Vorgaben von Attitüden zu einem einzigen Handlungsablauf. (Brock Dramatisierte Illustrierte, Städtische Bühnen Frankfurt, 1966)

[Abb. 36: Szene aus: Theater der Position. Eine Dramatisierte Illustrierte, Städtische Bühnen Frankfurt, 1966]

[S. 61]

Simulationsanlagen

Zum höchsten Glück auf Erden: Persönlichkeit werden.
Hier: eine Nacht im Hinterhof. (Ausstellung [Haus Deutscher Ring], Hamburg 1978)

[Abb. 37-38: Bazon Brock in der „2. Probierstube: Der Penner als Abweichungspersönlichkeit“, Ausstellung Persönlichkeit werden ... zum höchsten Glück auf Erden, Haus Deutscher Ring, Hamburg 1978]

Volksmündlich –
Im Spiele übt sich das Kind in die Lebensvollzüge des Erwachsenen ein!

Postkarte zu Brock Wollt Ihr das totale Leben, 1963. Text aus Knaurs Spielbuch, München 1953. Bild aus We have not forgotten, Warschau 1958.

[Abb. 39: SPIELE MIT BLEISTIFT UND PAPIER | Der Galgenschwengel (ab 12 Jahre für Jungen und Mädchen) Franz denkt sich ein Wort, also zum Beispiel Rechtsstaat. Er schreibt „R . . . . . . . . . .“. SIE sollen die fehlenden Buchstaben erraten. „a“ sagen SIE, denn das kommt häufig vor. Statt einer Antwort fängt Franz an, einen Galgen zu zeichnen; bei jedem falsch vorgeschlagenen Buchstaben wächst der Galgen um einen Strich. Richtig geratene Buchstaben werden an Ihrem Platz eingetragen. Ist der Galgen fertig, bevor SIE das rettende Wort sagen, sind SIE verloren. Zuletzt baumeln gar SIE am Galgen. Das sieht dann so aus:“]

[S. 62]

Einübung ins historisch vergleichende Erleben!

[Abb. 40, Todesanzeige: „Am 22. Januar 1966 verstarb unser Pensionär Herr Bazon Brock im 29. Lebensjahre. Wir werden dem Verstorbenen, der unserer Gesellschaft viele Jahre in treuer Pflichterfüllung seine Arbeitskraft zur Verfügung stellte, ein ehrendes Andenken bewahren. / ALLIANZ Versicherungs-Aktiengesellschaft Zweigniederlassung Hamburg Direktion
Hamburg, den 2. Februar 1966 / Die Trauerfeier findet am Donnerstag, dem 3. Februar 1966 um 13 Uhr auf dem Moltke-Friedhof, Hamburg 50, Bernadottestraße, statt.]

Des kleinen Mannes gestalterischer Eingriff in die Geschichte:

Weltlich unvergänglich die Schriftzüge im marmornen Fleisch und Hermelin des Herzogs von Berry, wie er selbst. Lächelt er hämisch, weil ihn das nicht kratzt?

Niemand wird je die Namen lesen wollen der Namenlosen. Seinen Namen zu sagen oder laut auszurufen, bleibt für den vergeblich, der nicht beim Namen gerufen wird.

[Abb. 41]

Lebenszusammenhang als Konstrukt

Spatenstiche in die Erinnerung, hier ein Gedankenfetzen, dort ein blasser Farbeindruck oder wiederkehrende Geruchswahrnehmung.
Bitte suchen Sie nach dem geschichtlichen Zusammenhang in den Spuren, die . . . lautete die geschriebene Aufforderung an den Betrachter der ausgestellten Laufmaschen, Unterhosenrisse, durchlöcherten Schuhsohlen etc. Von Objekt zu Objekt voranschreitend, verstrickt sich der Besucher in die konstruierte Lebensgeschichte einer Gruppe fremder Menschen, die ihm mehr und mehr zur Rekonstruktion seiner eigenen Lebensgeschichte geriet. So verstand sich der Besucher am Ende als der eigentlich
interessierende Gegenstand der Ausstellung.

[S. 63]

Die Bedeutung liegt nicht in den Dingen wie der vergessene Liebesbrief in einer alten Hutschachtel. Was sie bedeuten, sagt uns allein, wozu sie uns veranlassen: wie wir mit den Dingen umgehen. Wenn wir auch auf sie nicht reagieren (und sie damit für uns bedeutungslos werden lassen), sehen wir uns doch betroffen (oder fürchten wir doch, betroffen zu werden) von den Reaktionen anderer Menschen, denen das für uns Bedeutungslose etwas zu bedeuten scheint, weil sie auf das tote Zeug reagieren. Oder wäre überhaupt nur aus dieser Drohung für uns der Anlaß gegeben, den Dingen Bedeutung zuzugestehen, damit sie für andere Menschen nicht zum Anlaß unkalkulierbarer Handlungen werden? (Aus Brock Der Satz, Galerie Jährling, Wuppertal, 1965)

[Abb. 42: Ansicht aus der Aktion Der Satz, Galerie Jährling, Wuppertal, 1965; Foto: U. Klophaus]

Gestaltungsprozeß: Begriffsbildung

Der Autor bei der Übung, Anschauung und Begriff Bügelfalte voneinander zu trennen, die immer schon uns vorgegebene Einheit von Begriffsbild und Vorstellungsbild aufzulösen. Künstlern gelingt das zum Beispiel in Zeichnungen eines Objekts, indem sie die zunächst eine Bügelfalte markierende Linie in eine überlagernde spezifische Figuration einbeziehen. Bekannter Sonderfall dieses Vorgehens ist der Wechsel von Figur und Grund, sodaß man in einem Augenblick eine Zeichnung als Porträt einer alten Frau, im nächsten aber als Landschaft wahrzunehmen glaubt. Zu üben ist die Freiheit, in ein und demselben Augenblick beide Zustände zugleich realiter vor Augen zu haben: den Umkippmoment selber zu vergegenständlichen in einem gestalteten Objekt.

[Abb. 43: Ansicht aus der Aktion Der Satz, Galerie Jährling, Wuppertal, 1965; Foto: U. Klophaus]

[S. 64]

Gestaltungsziel: theoretisches Objekt

Exemplarische Vergegenständlichung zum dialektischen Operator: Position – Negation → Negation der Negation. Im Rahmen dieser Problemvorgabe kann jedermann anhand des Objekts Kleid verstehen, daß Position den Zustand des Bekleidetseins bezeichnet und daß Negation die Negation von Bekleidetsein, also Nacktsein anzeigt. Schwierig wird es zu verstehen, daß Position und Negation, also Bekleidetsein und Nacktsein, miteinander vermittelt werden könnten.

Abstrakt wäre diese Vermittlung, soweit man sie nur in die übliche Aussage faßt, daß Frauen häufig durch die Art ihrer Bekleidung auf ihren nackten Leib verweisen wollen. Konkret wird die Vermittlung im Objekt Reißverschluß, das durch seine sinngemäße Nutzung Bekleidetsein und Nacktheit im Öffnen und Schließen der Kleiderhülle vermittelt. Ein Kleid aus lauter Reißverschlüssen und nichts als Reißverschlüssen ist ein theoretisches Objekt, das ein Kleid ausschließlich zur Vermittlung von Position und Negation, von Nacktheit und Bekleidetsein in der Negation der Negation bestimmter werden ließe. Ich zeige damit die Negation der Negation als neue Position, die man zur besseren Unterscheidung Affirmation nennt. Das ist dann eine Gegebenheit, ein Sachverhalt, dessen Bedeutung darin besteht zu zeigen, daß sich seine Entstehung einer Negation von Negation verdankt.

Gestaltung sollte man nicht mit Zauberei oder göttlicher Schöpfungsleistung verwechseln. Gestaltetes, das dem Benützer die Verfahren und Gedanken entdeckt, nach denen es gestaltet wurde, erfüllt seine Funktion erst optimal. Es erweitert die Fähigkeit des Benützers, das Werden von Etwas zu verstehen.

[Abb. 44: Reißverschlusskleid; Foto: A. Tüllmann 1967]

Rückwärts, nicht zurück!

Einheit der Lebensformen? Wie das, wenn doch an jeder Ecke die Zeugnisse historischer Lebensformen uns ihr Bein stellen? Modell einer Antwort: Avantgarde ist nur das, was uns veranlaßt, Traditionen neu zu bilden.

Das Bauhaus war eine solche Avantgarde, weil es uns zum Beispiel veranlaßte, die Architekturgedanken eines Brunelleschi neu zu entdecken.

[S. 65]

Der Expressionismus war es, weil er uns zwang, El Greco oder die Vergegenständlichungsformen der Romantik wie zum ersten Mal wahrzunehmen. Was wir jeweils selbst in die Welt bringen als etwas nur uns Verdanktes und Zukommendes, wird gerade als etwas Neues nur mit Bezug auf das schon Vorhandene bestimmbar. Ein tatsächlich Neues ist es nur darin, daß es uns das Alte und Überkommene in neuer Weise zeigt, vor allem als historisches Material zeigt. Nur Geschichte ist tatsächlich gestaltbar.

Wie gewinnen eine Plastik von Bruce Naumann oder von Beuys derartige Gestaltungsqualitäten? Indem man sie unter einem angemessenen Gesichtspunkt thematischer oder formaler Art zu Werken, die bereits eine Geschichte haben, in Beziehung setzt. Solche Beziehungsgefüge führte ich im Kunstmuseum Basel 1978 vor. Im Ganzen wurden 17 Konfrontationen gezeigt, unter anderm Grünewalds früheste Kreuzigung und Beuys’ Schneefall; Konstanzer Verkündigungsmeister und Bruce Naumanns das linke hintere Viertel meines Körpers; Spoerris Hodenschneider und Caravaggios Johannes spielt mit dem Kind; J. J. Ruisdaels Kirchenplatz vor dem Wetter und Baldessaris Schriftbild Girl by Gheranium etc. Das ist ja mehr als evident, sagten und schrieben viele Ausstellungsbesucher und begannen, sich als Gestalter der Geschichte künstlerischer Vergegenständlichungsformen zu betätigen.

[Abb. 45: Besucherschule mit Bazon Brock, Kunstmuseum Basel 1978]

Es galt, eine Vergegenständlichungsform für Geschichtsgefühl zu finden. Die schließlich realisierten Vergegenständlichungen bestanden aus einer Reihe von Schichtungsvorgängen (Geschichte ist geschichtetes Geschehen) über konstant bleibendem Ort des Ereignisses: an einem Kaffeehaustisch sitzen im Laufe des Nachmittags nacheinander acht Partien Tischbenützer. Deren Geschichte an diesem Ort vergegenständlicht sich zu einem Pyramidenbau übereinandergeschichteter Tassen, Bestecke, Kannen etc., da die Zeugnisse des geschichtlichen Tuns nicht aus der Welt geschafft werden. (Aus: Das Seminar, Aktion und Film Brock/Nekes/Studenten, Dörnberg bei Kassel, 1967.)

[Abb. 46: Foto von der Aktion Das Seminar, Dörnberg bei Kassel, 1967]

[S. 66]

Geister und Designer

Der Gilb und der Weiße Riese, die Mainzelmännchen und Miefi, der Geist des ungepflegten Klosetts: Designte Repräsentanten des mächtigsten Reiches auf Erden, des Geisterreiches.

In animistischer Belebung erfüllt sich der Anspruch des Designers, ein Schöpfer zu sein. Du sollst aber keine anderen Götter haben neben mir.
[Abb. 46: Bazon Brock mit Handpuppen]

[Abb. 47: Plakat zur Aktion Mein Gott, was ist los?, Frankfurt a.M., 1964; Text: Bazon Brock demonstriert die Bedeutsamkeit des Problems der Autosuggestion für den modernen Künstler! (Bauphase II eines fortschreitenden Denkmals zu ebener Erde)]

[S. 67]

Lob, Preis und Dank

Für den, der zu zahlen in der Lage ist, hat nichts mehr seinen Preis, weder Lob noch Dank. Wer nicht zahlen kann, lobt das ihm Unerreichbare derart, daß es noch teurer wird. Der Asket dankt den Dingen, daß sie ohne ihn in der Welt vorzukommen wissen.

[Abb. 48: Schaufenstergestaltung, Ausstellung Mode – das inszenierte Leben, IDZ Berlin, 1972; Foto: S. Rothe]

Endlich ist es heraus:

Statt guter Form gut in Form; Kampf heißt der Gestaltungsprozeß. Bodybuilding, damit es schöne Leichen gibt. Corpus quasi vas, aber leer!

[Abb. 49: Hiermit fordere ich Herrn Bazon Brock zum Ringkampf heraus / LIDLSPORT, LIDLAKADEMIE / Düsseldorf, Eiskellerstr. 1, Telefon 499374 / Jörg Immendorff]

Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 53
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 53
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 54
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 54
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 55
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 55
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 56
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 56
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 57
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 57
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 58
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 58
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 59
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 59
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 60
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 60
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 61
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 61
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 62
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 62
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 63
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 63
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 64
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 64
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 65
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 65
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 66
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 66
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 67
Sozio-Design (Bildessay). In: Design ist unsichtbar. Wien 1981, S. 67

siehe auch:

  • Action Teaching

    A-Männer, B-Männer

    Action Teaching · Termin: 1965 · Veranstaltungsort: Hamburg, Deutschland · Veranstalter: Hochschule für Bildende Künste

  • Seminar

    Kulturbehälter

    Seminar · Termin: 17.01.1980 · Veranstaltungsort: Kassel, Deutschland · Veranstaltungsort: Kunsthochschule, Menzelstraße 13-15, 34121 Kassel