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Erschienen
05.12.2015

Erscheinungsort
Zürich, Schweiz

Issue
Nr. 49

Schwarzer Humor

Bazon Brock im Interview mit Sven Behrisch

Vor genau hundert Jahren zeigte der russische Maler Kasimir Malewitsch (1878-1935) erstmals sein Schwarzes Quadrat. Es gilt seither als der radikale Nullpunkt der Malerei, ihr Schlussstein und Startpunkt, als bedeutendstes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts. Heute hängt es – in beklagenswertem Zustand – in der Moskauer Tretjakow-Galerie, wo es Spezialisten angesichts des Jubiläums mit Hightech-Methoden millimeterweise durchleuchteten. Dabei machte man einen erstaunlichen Fund: Unter der bröseligen schwarzen Farbe und zwei weiteren Vorzeichnungen fand man einen reichlich rassistischen Witz, vermutlich von Malewitsch selbst auf die Leinwand geschrieben: „Schlacht von Negern in einer dunklen Höhle.“ Bazon Brock, der originellste, streitbarste, aber auch fachkundigste Kunsttheoretiker der Gegenwart, war eingeladen, in Moskau den Eröffnungsvortrag zu der Konferenz zu halten, auf der diese Entdeckung vorgestellt wurde. Eine schmerzhafte Kiefer-Operation hielt ihn davon ab, nach Russland zu fliegen, nicht aber, mit uns über die Tragweite des Witzefundes und seine Bedeutung für dieses epochale Werk zu diskutieren.


Herr Brock, ist das Schlüsselwerk der Modernen Kunst in Wahrheit ein billiger Scherz?

Ganz im Gegenteil. Es ist nur eine Erklärung und Bestätigung dafür, was das Bild eigentlich ist und immer schon war.

Was wäre das?

Das Bild entstand zu einer Zeit der totalitären Systeme. Alles war total: Die Zaristen und die Bolschewiken, die Faschisten und die Nazis und auch die Manifeste der Avantgarde-Künstler, der Kubisten, der Futuristen, der Suprematisten. Jeder hatte das vermeintlich Letztgültige, das Absolute, die Allheillösung gefunden. Der Witz war die einzige Möglichkeit, diesen absurden Vorstellungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu begegnen. Im deutschsprachigen Raum haben das vor allem die Dadaisten begriffen. Sie hatten einen ironischen Zugang gefunden, welcher der einzig richtige, weil Erkenntnis stiftende war. Ich nenne diesen Zugang in Abgrenzung zum Irrsinn der anderen die kabarettistische Vernunft.

Was heisst das nun in Bezug auf das Schwarze Quadrat? Dass Malewitsch es tatsächlich als Witz gemalt hat?

Das heisst zunächst, dass in Russland eine besonders lange Tradition der grotesken, satirischen Literatur und Poesie bestand, von Gogol bis Majakowski. Und auch einige bildende Künstler fühlten sich aufgefordert, mit diesen intellektuelleren Disziplinen gleichzuziehen. Malewitsch gehört dazu. Er malt ein Bild, dass radikaler und absoluter ist als alle anderen, die je gemalt wurden. Eine Karikatur des Absoluten und Totalitären. Er übertreibt es derart, dass das Bild, wie gutes Kabarett, zu einem klugen Witz wird.

Der Witz, der sich unter dem Schwarz verbirgt, ist allerdings nicht sonderlich originell. Er ist eher ziemlich platt, und obendrein rassistisch.

Ja, dieser Witz, der damals europaweit kursierte und von vielen Karikaturisten aufgegriffen wurde, ist wirklich platt. Aber er entwürdigt, entweiht oder entwertet das Bild überhaupt nicht. In der Logik der kabarettistischen Vernunft kann man gar nichts entwerten, weil es keine Ideologie und überhaupt nichts gibt, was einen absoluten, unbedingten Wert hat. Man kann und konnte das Schwarze Quadrat, wenn überhaupt, dann nur als intellektuellen Witz verstehen. Nur dann ist es aushaltbar. Wenn man es nicht ironisch begreift, dann wird es zu einer unerträglichen Anmassung, zu einer gigantischen Blödheit.

Kommen wir zu der Bedeutung des Bildes für die Kunstgeschichte. Die Experten sagen, das Bild markiere eine Epochenschwelle; ein gängiger Vorwurf dagegen lautet, das Bild sei keine Malerei; das hätte jeder machen können.

Es wäre wirklich Unsinn, das Schwarze Quadrat als Teil der Malereigeschichte zu betrachten. Es ist sehr schlecht ausgeführt, die Farbe platzt überall ab, aber das alles macht Malewitsch nicht zu einem schlechteren Künstler, denn die Geste, die Idee, die sind in der Tat einmalig und epochal. Viele grosse Meister, man denke an René Magritte, waren lausige Maler. Wie Magritte ist auch Malewitsch als Maler eine ziemliche Null, aber als Künstler ein Genie.

Stellen wir uns einmal vor, das Bild hinge nun vor uns an der Wand. Was sähen wir darauf eigentlich?

Man sieht gar nichts. Aber man denkt etwas, das ist das Entscheidende. Wie bei einem Logo. Das ist ja auch nicht zum Betrachten da, sondern, sondern damit es an etwas erinnert oder man etwas damit assoziiert.

Und was assoziieren Sie damit?

Schwarz war immer die Farbe der Anarchie, die Farbe der Aufständischen: Die Fahne der Piraten ist ein schwarzes Rechteck und die des IS ist es auch. Schwarz ist die Farbe der Theologen, des Todes, des Bösen und des Alls. Schliesslich war ein schwarzes Quadrat auch das Signum dreier entscheidender Männer des 20. Jahrhunderts, die alle im selben Jahr geboren wurden, 1889: Der Philosoph Martin Heidegger, der Komiker Charlie Chaplin und der Politiker Adolf Hitler. Alle drei trugen in Form eines Oberlippenbärtchens das Schwarze Quadrat unter ihrer Nase. Die Genialität von Malewitsch bestand nicht darin, dass er die noch junge abstrakte Kunst zu einem ultimativen Punkt weiterentwickelt hätte. Um die Abstraktion ging es ihm gar nicht, da waren andere wie Wassily Kandinsky oder die schwedische Malerin Hilma af Klimt, schon mindestens genauso weit. Malewitsch ist deshalb so genial, weil er ein Symbol gefunden hatte, das alle Kräfte, die damals und bis heute für den Inbegriff des Totalitären, des Absoluten und Allgemeingültigen stehen, in einem Logo vereinigte.

Die Durchschlagskraft dieses Logos, wie Sie es nennen, hat Malewitsch, wie es scheint, sofort erkannt. Als er es 1915 zum ersten Mal in St. Petersburg zeigte, hängte er es als einziges Bild nicht an die Wand, sondern auffällig in eine Zimmerecke.

Genau. Er hängte es in die östliche Zimmerecke, wo in russisch-orthodoxen Haushalten sonst der Platz für die Ikone ist. Und alle fielen darauf herein. Bis heute ist das Schwarze Quadrat daher auch Ausdruck der Verkommenheit der Kunstkritik. Der sogenannte aufgeklärte Kritiker macht sich über die Rituale der Religion lustig. Er spottet über die Kirche, um dann vor dem Schwarzen Quadrat beten zu gehen. Kaum ein Werk wird ja so kultisch verehrt wie dieses. Mit Malewitsch begann es, dass die Kunst die Leerstellen der Religion füllte und säkulare Menschen vor keinem Kreuz, aber vor Bildern in die Knie gehen. Je teurer sie auf dem Markt gehandelt werden, desto heiliger müssen sie wohl sein. Dass unter Malewitsch‘ Quadrat der banalste Witz steht, der sich denken lässt, liefert dazu die beste Pointe.

Was Sie beten nennen, ist vielleicht einfach die Vertiefung in ein Bild, die reine Betrachtung.

Beim Schwarzen Quadrat bestimmt nicht, denn wie gesagt – es gibt dort ja nichts zu betrachten. Man braucht nicht vor dem Original zu stehen, um es zu erfassen. Warum so viele Menschen trotzdem zu Malewitsch pilgern – es gibt ja vier Versionen von dem Bild – das hängt mit dem Heilsversprechen zusammen, das der Kunstbetrieb an die Bilder knüpft. Die Künstler selbst helfen da eifrig mit.

Was meinen Sie mit „Heilsversprechen“?

Dass Künstler ihre Kunst mit Worten aufblasen. Jene, die Erfolg haben, wollen sich oft mit Worten dafür rechtfertigen, wie besonders sie sind, das ist ja sogar eine ganz normale Reaktion. Aber wenn man das Denken nicht so beherrscht wie das Malen, dann wird aus der Begründung eine Beschwörung. Andere wiederum halten den Zweifel nicht aus, ob das, was sie tun, wirklich Kunst ist. Die versuchen dann, die Kunst herbeizuschreiben, die sie nicht malen können.

Zu denen gehört dann aber auch Malewitsch selbst. Er hat seine eigene Kunstideologie begründet, den Suprematismus, in vielen ziemlich kryptischen Schriften.

Ja, schrecklich. Andererseits, Suprematismus, dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass seine Kunst aller anderen überlegen ist. Es ist derselbe anmassende, absolutistische Anspruch, mit dem auch sein Quadrat spielt. Ich habe mich daher entschieden, auch den Suprematismus als Ausdruck kabarettistischer Vernunft anzusehen.

Kunst ohne Ironie lassen sie gar nicht gelten, oder?

Es geht nicht darum, dass Kunst ironisch oder witzig sein muss; aber sie muss eine kabarettistische Haltung einnehmen: Einerseits suggestiv sein, einen anziehen, absorbieren, aber andererseits auch dafür sorgen, dass man sich ablösen, zweifeln und fragen kann. Im Schwarzen Quadrat, diesem genialen Symbol, steckt unheimlich viel Attraktivität. Aber es gibt einem auch Grund und Anlass, das Ganze als Humbug, als Bluff zu sehen.

Was meinen Sie, wie hat Malewitsch sein Quadrat denn selbst gesehen?

Der Dichter Robert Gernhardt hat das in einigen genialen Versen zusammengefasst: „Malewitsch malte die Kunst ins Aus/ doch zog er selbst keinen Schluss daraus ... Malewitsch führt vor, was dann entsteht, wenn einer, der ankommt, noch weitergeht.“ Wenn er wirklich überzeugt gewesen wäre, dass er die absolute Reduktion ermalt hat, dann hätte er danach eigentlich auch nie wieder etwas anderes malen dürfen. Er hätte aufhören müssen. Er hat aber fröhlich weitergepinselt, wurde auch wieder gegenständlich, malte Bäuerinnen und Landschaften und verstand sich schliesslich gar als Renaissancemaler. Das heisst, entweder verstand er selbst nicht, was er da eigentlich gefordert hat, oder er sah es eben kabarettistisch. Ich tippe auf letzteres.