Online Öffentlicher Brief an die Herausgeber der FAZ

Erschienen
31.01.2024

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Holocaust wird Marketingmotiv

Zur Ästhetik des Neoliberalismus

Bisher hatten sich alle an das ethische Minimum gehalten, dass es sich zumal für Deutsche verbiete, mit Verweis auf den Holocaust Firmenreklame zu betreiben. Selbst Extremisten aller Lager scheinen sich daran gehalten zu haben – wenn nicht, wäre es ja die Pflicht des „Qualitätsjournalismus“ gewesen, derartige Widerwärtigkeiten in die öffentliche Kritik zu bringen. Und wenn diese Widerwärtigkeiten nicht kritikwürdig wären, wäre nicht nur die deutsche Staatsräson aufgekündigt, sondern die Neofaschisten wären ins Recht gesetzt.

Ausgerechnet die FAZ durchbricht jetzt den ethischen Imperativ der Bundesrepublikaner inklusive der Chefs von werbetreibenden Unternehmen. Was hat die Herren des „Qualitätsjournalismus“ geritten? Selbst wenn sie Opfer von Marketingtyrannei des Verlags geworden wären, hätte ihre Selbstachtung ausreichen müssen, sich gegen diesen fatalen Regelbruch aufzulehnen.

Ich lehne mich, wie offenbar viele Leser der FAZ, dagegen auf, denn ich bin als täglicher Leser der FAZ nach deren eigenem Reklameversprechen ein „kluger Kopf“ und damit als Kritiker von ihr ernstzunehmen. Der hundertfachen Bestätigung dieser Selbsteinschätzung der FAZ diente ja eben auch die hundertste Fotokampagne mit der Vermarktung des Holocaust-Denkmals in Berlin ausgerechnet zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2024.

Als von der FAZ zur Klugheit erhobener Leser frage ich: Wer ist verantwortlich für diese Bedenkenlosigkeit? Man wagt nicht anzunehmen, dass etwa die Ressorts Politik, Feuilleton oder Wirtschaft, ganz zu schweigen von den Herausgebern, der Kampagne ihr Plazet erteilt hätten.

Schon ein Minimum an ästhetischem Empfinden hätte genügt, die Zustimmung zu verweigern. Ganz offensichtlich haben die Verantwortlichen für die Kampagne den peinlichen Sachverhalt auch noch ästhetisch behübschen wollen, denn mit großem Aplomb wird die Berufung von Wim Wenders als Fotograf hervorgehoben. Wenn Journalisten ihn berufen hätten, hätten sie wissen müssen, wie ästhetisch bedenklich, weil nahe an opportunistischer Geschmackserweichung Wenders‘ Inszenierungen der Werke von Pina Bausch, Peter Handke, Anselm Kiefer oder Sebastiao Salgado sind. Das hätte bei einer Kampagne zum Holocaust-Gedenktag Grund genug sein müssen, ihn gerade nicht mit einer malerischen Inszenierung zu beauftragen. Wenn hingegen Herren des Marketing Wenders gewählt hätten, versteht sich ihre ästhetische Blindheit von selbst, ist aber damit keineswegs entschuldigt.

Von Rundfunkjournalisten wurde mir entgegengehalten, die FAZ-Kampagne mit der im Holocaust-Denkmal sitzenden Margot Friedländer sei doch ganz anders zu verstehen, nämlich als Förderung der Stiftungsanliegen von Frau Friedländer. Das ist auszuschließen, denn erstens kennzeichnet die FAZ ausdrücklich die Wenders-Aktion als Werbekampagne und zweitens hat auf einer ganzen dritten Seite das FAZ-Redaktionsmitglied Heike Schmoll verdienstvollerweise genau die Stiftungsarbeit von Frau Friedländer emphatisch gewürdigt. Dieser Artikel ist begleitet von einem fast halbseitigen tatsächlichen Portrait der Holocaust-Überlebenden von einem anderen Fotografen, aber auch von einem fotografischen Beleg von Wenders in Aktion – ganz in Stil und Sinn weltweit tätiger Überwachungsagenten.

Darf ich hoffen, exemplarisch für alle klugen Leser der FAZ, eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Verantwortung für die Kampagne zu erhalten? Ich hoffe allerdings nicht, dass mir als „klugem Kopf“ noch einmal untersagt wird, die Antwort eines Herausgebers zu veröffentlichen.